Die evangelische Kirche
St. Viktor
in Guntersblum

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Diese Seite wurde zusammengestellt unter der Verwendung von Beiträgen von Frank Frey, Horst Dehmel, Karin Holl, Dieter Michaelis u.a. (siehe Literaturliste weiter unten)


Überblick - Geschichte - Entstehung des Kirchenbaus


Nach der Christianisierung im frühen Mittelalter kristallisierte sich Worms als eine geistliche Metropole heraus. Der Sprengel der Wormser Bischöfe war in vier Archidiakonate und diese wiederum in acht, später zehn Dekanate oder Landkapitel eingeteilt. Guntersblum war Sitz eines Landkapitels, das 20 Pfarreien umfaßte. Es unterstand dem Archidiakonat des Propstes von St. Paul in Worms. Als Sitz eines Dekanates besaß Guntersblum eine Hauptkirche mit zwei Türmen. Der Bau der heute evangelischen Kirche ist etwa um 1100 anzusetzen. Die beiden romanischen Türme sind in fünf, etwa würfelförmige, Stockwerke gegliedert und gekrönt von steinernen Helmen in armenischem Stil. Beide Türme werden durch ein schönes Portal verbunden, das in eine kleine Eingangshalle führt. Sehr alt ist auch das Innenportal (12. Jahrhundert) mit den beiden griechischen Säulen und dem Tympanon mit der Kreuzigung Christi. Ein sehr kunstvoller Taufstein (Löwentaufstein) aus dem 15. Jahrhundert, sowie ein wertvolles Orgelgehäuse (Brüder Stumm) aus dem Jahre 1765 zieren das, nach der letzten Innenrenovierung (1984/85), stilvoll gestaltete Innenschiff. Die letzte Renovierung des Aussenbereichs geschah 1986/87.

Der Nordturm der Kirche ist der älteste Teil des Gebäudes und zugleich ältestes Gebäude im Ort Guntersblum. Durch sogenannte dendrochronologische Untersuchungen mehrerer Bauhölzer (1995 durchgeführt und 2002 erneut bestätigt) konnte man wissenschaftlich nachweisen, dass der Baum, aus dem die im Nordturm verwendeten Balken hergestellt wurden, im Frühsommer des Jahres 1101 gefällt wurde. Da damals die Balken "saftfrisch" verwendet wurden, kann man die Entstehung dieses Turmes auch ohne weitere Zeugnisse oder Dokumente ziemlich genau auf Sommer 1101 datieren.



Blick in die Kuppel des Nordturms
mit Balken aus dem Jahre 1101

Der Name "St.Viktor"


Die Kirche ist dem Heiligen St. Viktor geweiht. Der Legende nach war Viktor ein römischer Märtyrer, der um 300 in Xanten hingerichtet wurde. Dieser Viktor war der Namenspatron des Xanterer Domes, den man an der Stelle seines Grabes errichtete. 1966 fand man bei Ausgrabungen in Xanten einen Steinsarg, der ein Skelett ohne Kopf enthielt. Der archäologische Befund konnte keine klare Aussage machen, ob es sich hier um den Viktor handelte, obwohl weitere Untersuchungen belegten, dass der Kopf dieser Person mit einem sehr scharfen Werkzeug abgetrennt worden sein muss, und eine ursprüngliche Inschrift des Steinsargs abgemeißelt worden war. Offenbar gab es Kräfte, die die Identität dieses Menschen auf Ewigkeit zum Geheimnis machen wollten.

Der Name "St.Viktor" kam nach Guntersblum, weil zur Zeit der Errichtung dieser Kirche das Patronatsrecht von dem St.Viktor-Stift in Xanten ausgeübt wurde. Leider sind keine weiteren Dokumente zur Kirchengründung bekannt, da wahrscheinlich wichtige Archivalien bei einem Brand 1109 im Xantener Stiftsarchiv vernichtet wurden. Urkundlich belegbar ist der Name "St.Viktor"ab dem Jahre 1496. Das Patronatsrecht übte das St.Viktorstift in Xanten bis ins 13. Jahrhundert aus.
Am 15.1.1237 wurde das Patronatsrecht an das Domstift in Worms verkauft. Graf Emicho X. von Leiningen führte 1562 die Reformation ein. 1574 war die Bevölkerung bereits lutherisch und 1609 war die Reformation in allen leiningischen Orten durchgesetzt. Die Jahreszahl 1608 über dem Julianenbrunnen erinnert an die erste Erteilung des Abendmahles der Evangelischen Kirche. Sie soll am Brunnen unter freiem Himmel stattgefunden haben. Die Kirche wurde nach der Glaubensspaltung den Katholiken und den Lutheranern gemeinsam (simultan) übergeben. Unter dem Schutz des Sankt Viktor befand sich die Pfarrkirche, solange sie auch den Katholiken für ihre Gottesdienste zur Verfügung stand. Als jedoch im 19. Jahrhundert ein katholisches Gotteshaus errichtet wurde, übertrug man das Patrozinium auf dieses.



Sankt Viktorkirche etwa um 1800
mit Aussenaufgang für Herrschaft

Die Türme


Von den beiden Türmen der Kirche ist lediglich der Nordturm annähernd so erhalten, wie diese zur Zeit der Erbauung ausgesehen haben. Der Südturm ist 1702 eingestürzt und der heutige Nachfolgeturm ist ein Neubau aus dem Jahre 1839. Das genaue Aussehen des Südturms ist unbekannt, da es keine Dokumente oder sonstige Aufzeichungen hierüber gibt. Vermutlich sah er dem heutigen Nordturm sehr ähnlich, obwohl dieser auch nicht mehr exakt das Aussehen hat, welches zur Bauzeit gewählt wurde. In der Zeit der Erbauung des zweiten Südturms in den Jahren 1838 bis 1840 hat man einige bauliche Veränderungen durchgeführt. Statt der ursprünglichen glatten runden Steinkuppel hat man eine achtseitig, rippenbesetzte Haube als Abschluß gewählt. Die vier unter der Kuppel befindlichen Fenster hat man zugemauert und segmentförmige Bögen eingebracht.

Der Südturm wurde bei dem Wiederaufbau mit einer Turmuhr ausgestattet. Aus den historischen Quellen ist belegt, dass es schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Uhr gegeben hat, man weiß aber nicht, in welchem Turm diese untergebracht war.



Nordostansicht der Türme

Eine Besonderheit jedoch sind die Turmhelme der Kirche, die für den Namen "Heiden- oder Sarazenentürme" verantwortlich sind. In der hiesigen Region Rheinhessen gibt es nur wenige Kirchen, die ein ähnliches orientalisches Erscheinungbild aufweisen: "Sankt Paul" in Worms, die eintürmigen Kirchen in Alsheim und Dittelsheim und unsere evangelische Kirche "St. Viktor" in Guntersblum. Die Erklärung für diesen orientalisch anmutenden Baustil war lange Zeit ein Rätsel: heute ist man sich ziemlich sicher, dass in die Heimat zurückgekehrte Kreuzfahrer, hier die Eindrücke ihrer Reise in architektonischer Form hinterlassen haben. Die Turmbekrönungen aller vier erwähnten Kirchen in Rheinhessen, so belegt durch umfangreiche Forschungen, sind entstanden nach dem ersten Kreuzzug in dem Zeitraum 1100 bis 1110. Die Forschungen lassen sogar ziemlich sicher den Schluss zu, dass Ähnlichkeiten zu der frühen Grabeskirche von Jerusalem zu finden sind. Ein sehr informative Zusammenstellung zu diesem Thema ist die Ausgabe "Die rheinhessischen Heidentürme" von Dr. Hans-Jürgen Kotzur in der Reihe "Lebendiges Rheinland-Pfalz", herausgegeben von der Landesbank Rheinland-Pfalz (siehe Literaturangaben).



Eine Kuppel von "St. Viktor"


Die Skulpturen


Am Nordturm sind heute noch vier Skulpturen vorhanden. Durch Verwitterung wurden diese häufiger restauriert oder gar ersetzt. Dennoch dürften die heutigen Skulpturen den ursprünglichen sehr ähnlich sehen. Der Zweck dieser Figuren war das Vertreiben von bösen Dämonen und dem Teufel. Man kann vermuten, dass die Kirche ursprünglich wesentlich reicher mit Bauplastik ausgestattet war, als heute erhalten. Der Südturm weist keinerlei Skulpturen auf.

            





Das Tympanon


Das Tympanon oder auch Thympanon ist in der Architektur eine Schmuckfläche an Pedimenten oder über Portalen. An den antiken Tempeln ist das Tympanon jene (dreieckige) Giebelfläche, die mit figürlichem oder ornamentalem Dekor versehen wurde. Im christlichen Kirchenbau ist das Tympanon das halbkreisförmige Bogenfeld über den Portalen, in Byzanz vermutlich schon im 4. und 5. Jahrhundert mit Mosaiken geschmückt, bei romanischen Kirchen zum Teil schmucklos (zum Beispiel bei norddeutschen Feldsteinkirchen) - ab der Gotik – vor allem in Deutschland und Frankreich - reich mit Reliefs versehen - auch vollplastische Figuren kommen vor.

In dem Tympanon unserer evangelischen Kirche sind dargestellt: im mittleren Bogenfeld Christus vor dem Kreuz stehend, ihm zur Seite unter den beiden Kreuzarmen die Schächer, neben denen rechts Maria und links Johannes knien. Die Personen in den Seitenfeldern sind ohne Heiligenschein und gehören möglicherweise dem weltlichen Stand an, es könnten auch Engel sein.



Das Tympanon über dem Eingang


Die Orgel


Die heutige Orgel ist eine Instrument erbaut von der Werkstatt Bechstein aus Großumstadt und stammt aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Orgelprospekt stammt jedoch noch von dem Vorgängerinstrument und ist reichlich mit Schnitzereien verziert. Das Vorgängerinstrument war eine Stumm-Orgel und von hervorragender Qualität, wie ein Sachverständiger im Jahre 1843 nach einer erfolgten Renovierung bestätigte. Das genaue Datum der Anschaffung der Stumm-Orgel wird mit dem Jahre 1765 angegeben. Es ist jedoch aktenkundig, dass zuvor im Jahre 1729 bereits eine Orgelrenovierung stattgefunden hat, welche Orgel genau vorhanden war, ist jedoch unbekannt.



Die Orgel in der evangelischen Kirche zu Guntersblum


Der Löwentaufstein


Als Vorbild des Taufsteins in der evangelischen Kirche diente ein Taufstein der ehemaligen Wormser Johanneskirche, welcher heute im Dom zu Worms steht. Es ist ein achtseitiger, aus Rotsandstein gefertigter, sogenannter Astwerk-Typus. An jeder zweiten Ecke sitz ein Löwe mit Mähne, dessen Kopf die Kuppa stützt. Der Taufstein wurde 1490 in Worms gefertigt.



Der Taufstein in der evangelischen Kirche zu Guntersblum


Die aus dem emporsteigenden Astwerk herausgearbeiteten Halbfiguren stellen dar:









Gekrönte Madonna, auf dem rechten Arm das nach der Mutter greifende Kind


St. Paulus, bärtig, das abwärts gekehrte Schwert in der Linken, den Gewandzipfel in der Rechten.


St. Petrus, bärtig, den Schlüssel in der Linken, ein geschlossenes Buch mit offenen Schließen in der Rechten.




Evangelist Johannes, bartlos und jugendlich, in der Linken den Kelch mit dem Schläglein, auf den die auf der Brust liegende rechte Hand deutet.










St. Sebastian, bartlos und jugendlich, hält mit beiden Händen ein Bündel Pfeile


St. Jacobus der Ältere, bärtig, den Stab in der Linken


St. Andreas, bärtig, ein geschlossenes Buch in der Linken


St. Bartholomäus, bärtig, ein aufgeschlagenes Buch in der Linken, das aufwärts gerichtete, abgebrochene Messer in der Rechten.


Literatur und Quellen zur Geschichte der evangelischen Kirche in Guntersblum






Die Gallerie




An dieser Stelle sind einige schöne Fotos der evangelischen Kirche zu Guntersblum zu sehen.
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