Vagabondoj
Klezmer Quartett aus Frankfurt

 

3. November 2023 - 20 Uhr
Museumskeller Guntersblum

Verfasser: Alfred Balz, Guntersblum

 

Der Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten ist gerade ein paar Tage her, doch an diesem Abend spricht niemand von Tätern, Opfern oder Vergeltung. Das Klezmer Ensemble „Vagabondoj“ setzt dagegen die völkerverbindende Kraft der Musik, die in den besten Momenten Schmerz, Trauer und Verzweiflung in Hoffnung auf einen gerechten Frieden umschlagen möge. Im ausverkauften Guntersblumer Museumskeller spielte sich das Quartett aus dem Rhein-Main Gebiet durch die Musik des Morgen- und Abendlandes mit Ausflügen zu Jazz und Pop ohne jemals den Schwerpunkt Klezmermusik in ihren kammermusikalischen Arrangements aus den Augen zu verlieren. Dabei führten sie ihre Zuhörer auf luftige armenische Berggipfel, wilde Feste an der Schwarzmeerküste, durch die kargen Schluchten der Alpen und machten sich bereit für die Überfahrt in die neue Welt.

Vagabondoj (Esperanto für „Reisende“) wurden 2013 vom Klarinettisten Bodo Scheer, Gitarrist Ralph Hanl und Tuba Spieler Matthias Schütz gegründet. Bald folgten erste Konzerte und Festivals wie Rudolstadt 2023. 2017 wurde das Album „unterwegs“ veröffentlicht. 2020 folgte die Erweiterung zum Quartett mit Schlagzeuger Matthias Lang. Auf dem aktuellen Album „Traumtänzer“ geht die Reise durch die jiddischen Shtetl, die Schluchten des Balkans, über den Bosporus nach Kleinasien und übers Meer nach Amerika. So trifft ein Klezmer Standard auf türkische Wurzeln und eine Zigeunermelodie verwandelt sich in einen veritablen Popsong.

Leise und verhalten gerät die meditativ anmutende Eröffnung mit „Adam“, der unmittelbar mit „Astor´s Bulgar“ eine beschwingte Tanzmelodie des Gitarristen folgt. Schwermütig wie eine leise Popballade beginnt das traditionelle „Bublitschki“, kann aber im Mittelteil dank Tuba und zünftiger Klarinettenmelodie kraftvoll zulangen. Das armenische „Mombar“ ist eine kleine repetitive Klarinettenidee über einen Bordun aus 2 Harmonien. Ein Duett von Tuba und Klarinette und pure Tanzmusik sind im „Yiddish Charleston“ zu hören, der auch gleich den Weg zum Oldtime Jazz ebnet.

Beim langsamen Walzer „Hora“ fehlen nur noch Kuhglocken, so sehr klingt hier die alpenländische Blasmusik durch. Ein neues Stück des Gitarristen vor der Pause, noch ohne Namen mit handgetrommelten funky Rhythmen, lässt Raum für brodelnde musikalische Ausbrüche. Mit der außergewöhnlichen Besetzung Klarinette, Gitarre, Tuba und Schlagzeug , verbindet das Quartett traditionelle Klezmer- und Balkanklänge mit Swing und Eigenkompositionen zu einer virtuosen Klangreise durch die alte und neue Welt .

Graziös und gefühlvoll umspielen sich Klarinette und Gitarre nach der Pause in den durch eine Rahmentrommel angetriebenen Arabesken von „Terk in Amerika“. Gespielt wird viel traditionelles aber auch eigene Stücke des Gitarristen Ralph Hanl, der ansonsten der großartigen alles dominierenden Klarinette von Bodo Scheer den Vorzug gibt. Der vom Film „Titanic“ inspirierte „Blinde Passagier“ ist ein Tango mit kleinem Schlenker zum Dixieland. Einem Schlaflied gleich kommt „Am Fenster“ während der rhythmische Furor des Freylechs „Caje Sukarije“ der Gitarre Freiraum für schrille psychedelische Improvisationen bietet.

In „Shtiler Bulgar“ werden Volksliedmelodien zu einem bekömmlichen muikalischen Kompott verrührt. Die Melodien erscheinen dabei neu und doch vertraut. Groß ist der Wiedererkennungswert bei ,,Kolyn“, das als „Bella Ciao“ beginnt, aber in andere Gefilde abdriftet. Sidney Bechet ist nicht weit, wenn Vagabondoj von der „Egyptian Fantasy“ nach  New Orleans abbiegen und in Manier einer Hochzeitskapelle traditionellen New Orleans Jazz rauspusten.