Warenkorb des flotten Ostens
Ausstellung zum DDR-Alltag im Museum
Guntersblum
Die "Warentempel" der untergegangenen DDR nannten sich "Centrum", Bedarfsgüter boten Filialen der staatlichen Handelsorganisation (HO) oder wie genossenschaftlich organisierten "Konsum" Läden wohlfeil. "Gut gekauft, gern gekauft.": Wer durch eine DDR "Kaufhalle" schlenderte, kam an den mit diesem packenden Slogan bedruckten Papiertüten kaum vorbei. Bis schließlich schon vor der Wahrungsunion vom Juli 1990 zunehmend Westprodukte ehemalige Auslagen verdrängten.
Ausverkauf im flotten Osten, lang gehegte Freundschaften wurden aufgekündigt. Selbst das hochwertige Feinwaschmittel "Fewa" taugte nicht länger , um "wertvolle Textilien" zu pflegen. In diese Wendezeit platzte Jockel Kohlmann, Mitreisender einer SPD-Delegation des Kreises Mainz-Bingen, die nach dem Mauerfall "Entwicklungshilfe" im Landkreis Erfurt leistete, wo sich wie überall im SED-Staat Sozialdemokraten neu formierten. Im Gegensatz zum Hilfe suchendem Klientel bestaunte der Journalist vom Altrhein weniger die schönen Hüllen bundesrepublikanischer Angebote, sondern griff auch wenig später in Guntersblums Partnergemeinde Muldenstein nach Produkten, verpackt im schnöden Karton oder nach "Leunapor-Einlegesohlen“" oder "Watup"-Ohrtupfer . Kistenweise wanderten die Ladenhüter aus VEB-Betrieben im Frühjahr 1990 in den Westen, als Zeugnis einer untergehenden DDR.
Nicht genug, dass er "Plastkristall" oder "Mariella – Luxusseife" hortete, "Plaste und Elaste" aus Schopau schienen ihn zu faszinieren: vom Strohalm bis zur Blumenvase. Für den Hygieneartikel "Mondos" (Kondome) stand "Mann" früher in der DDR Schlange an. Über 1000 originale Konsumgüter wanderten über die offene innerdeutsche Grenze.
"Mehr als Pfennigbeträge investierte ich selten.", berichtet der Sammler wider Willen. Noch war "Ost-Nostalgie" ein Fremdwort. Eher entdeckte der Gast "drüben" eine Alltagskultur, an deren Exodus kaum Zweifel bestand. – Und wohl kaum reiften damals bereits Planungen, solch billige Objekte auszustellen. Bereits zur 20-Jahr Feier der Einheit öffnete Kohlmann sein wundersames Arsenal präsentierte im Alsheimer Schloß neben "Diabetiker Nuss-Creme", Eierfarben, filterlosen "Karo-Zigaretten" oder lichtempfindlichen ORWO-Filmen auch Schulbücher, die Pennälern Staatsbürgerkunde nahe brachte. Marx- und Engelszungen, fest gebunden, bereiten auf Lenin vor. Das Handbuch für den Abgeordneten verstaubt nicht länger in der Volkskammer. Kurz: Druckerzeugnisse des "Neuen Deutschland" neben Springer-Jubel dank "Bild" oder die kostenfreie BZ zum 3. Oktober lassen über mannigfache Ansichtssachen hinaus auch Leseabenteuer zu.
Ein ausrangiertes Muldensteiner Schild der "Volkspolizei" erinnert an Regime treue Freunde und Helfer. FDJ-Wimpel und Embleme des FDGB mahnen an verschollene Massenorganisationen. Zwar ist die neuerliche Exposition "DDR-Alltag" im Guntersblumer Museum mit "Bedarfsgütern und Kuriositäten" untertitelt, doch sollten ALDI verwöhnte KdW-Freunde nicht bloß süffisant lächeln. Die DDR glich keiner Mangel-, sondern einer Bedarfsgesellschaft. Jockel Kohlmanns Warenschau zeigt, dass Bedarf sich als eigenwilliger Geselle entpuppte. Eine höchst lehrreiche Ausstellung also, die sich sehr sinnlich in überquellenden Vitrinen präsentiert.
"Und stünden die Glaskästen offen,"" schmunzelt der Leihgeber, "so könnte man die DDR auch riechen." Wie schon in Alsheim lohnt die Visite an Sonn- und Feiertagen von 14 bis 18 Uhr im Domizil des Kulturvereins Guntersblum. Staunen garantiert. Nicht allein "Osttalgiker" sind eingeladen zur Eröffnung am 20. Februar um 14 Uhr. Reiner Schmitt, Bürgermeister und Vorsitzender des gastgebenden Vereins wird passende Worte finden, um Überbleibsel einer versunkenen Konsumwelt zu würdigen. Manches – wie Praktika - Kameras oder das schlichte Design einer Kuko-Preis-Packung heute Kultstatus beanspruchen. Wen stört’s, dass Bananen krumm sind, weil sie um die DDR einen Bogen machten.